Thema: Überprüfung der Straßenbenennung „Hindenburgstraße“ im Stadtteil Nellingen

Steffen Kaiser – GR-Sitzung 13.05.2020, Stellungnahme zur Vorlage 033/2020 (Antrag der SPD-Fraktion vom 29.01.2020)

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Bolay,
sehr geehrte Damen und Herren,

Paul von Hindenburg ist eine ambivalent bewertete Person der neueren deutschen Geschichte. Die Verwaltung hat in ihrer Stellungnahme unter Berücksichtigung der aktuellen Forschungslage darauf verwiesen.

Hindenburg hat mit der Verbreitung der Dolchstoßlegende zur Schwächung der Weimarer Republik beigetragen. Jedoch hatte die Republik, die Deutschland von den Kriegsgegnern mehr oder weniger als Staatsform aufgezwungen wurde, von Beginn an wenige Befürworter und viele Gegner – von rechter wie auch von linker Seite. Regierungsbildung war in der Weimarer Republik stets ein Vabanque-Spiel, da stabile politische Mehrheiten fehlten. Die wirtschaftlich prekäre Situation sowie der als Diktat empfundene Frieden von Versailles taten ihr Übriges, die Republik und ihre Vertreter zu diskreditieren. Erst in der Zeit der Reichspräsidentschaft Paul von Hindenburgs, der 1925 zum Reichspräsident gewählt wurde, erlebte die Weimarer Republik ihre „goldenen Jahre“ und Zeiten relativer Stabilität. Sicherlich hatte Hindenburg selbst an dieser Entwicklung wenig Anteil. Prägende Kraft war hier eher der Außenminister Gustav Stresemann. Doch auch ein Mann wie Stresemann war nur „Vernunftrepublikaner“.

Paul von Hindenburg hat trotz der Hoffnung vieler Monarchisten – auch seines ehemaligen Chefs Wilhelms II. – nie aktiv an der Wiederherstellung der Monarchie gearbeitet. Er war ein streng konservativ geprägter Charakter, dem als Soldat der geleistete Eid an erster Stelle stand. Den hatte er auf die Weimarer Verfassung geschworen und an diese hielt er sich – wenn auch mit stark konservativer Prägung. Als im März 1930 die Große Koalition zerbrach und damit die letzt mögliche Regierungsmehrheit, regierten die Reichskanzler Brüning, Papen und Schleicher mit Hilfe von Notverordnungen nach Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung. Dafür waren die Notverordnungen eigentlich nicht vorgesehen, Hindenburg und seine Berater bewegten sich jedoch im Bereich des Legalen. Ob die Notverordnungen ein stabilisierender Faktor für die Republik waren oder den Weg zur Diktatur bereiteten, darüber herrscht in der Geschichtswissenschaft keine Einigkeit. Wir sollten uns jedoch vorsehen, aufgrund unseres Wissens, die direkte Linie zur Herrschaft der Nationalsozialisten zu ziehen. Den konservativen Kräften war der Sozialstaat ein Dorn im Auge. Sicherlich strebte die Clique um Hindenburg einen autoritären Staat an, in der das Volk nur noch wenig Mitspracherechte haben sollte. An eine Herrschaft, wie die Nationalsozialisten sie nach 1933 aufbauten, dachten diese Kräfte jedoch eher nicht.

Hindenburg lehnte noch im Januar 1933 eine Kanzlerschaft Hitlers ab, auch wenn seine Motive keinesfalls die Rettung der Demokratie waren, sondern schlicht die Ablehnung des „böhmischen Gefreiten“. Doch die NSDAP war spätestens seit der Wahl von 1932 eine starke Partei. Mit über 37 % der Stimmen hatten fast 2/5 der wahlberechtigten Deutschen den Nationalsozialisten ihre Stimme gegeben. Dass der ehemalige Reichskanzler von Papen, gestützt von mächtigen Großindustriellen, der Meinung war, Hitler in einem konservativ geprägten Kabinett kontrollieren und die NSDAP in der Regierungswirklichkeit entzaubern zu können, war ein fataler Irrtum. Der 85jährige Hindenburg konnte den vielen Fürsprechern in seinem Beraterkreis zu einer Regierung Hitler nichts mehr entgegensetzen. Er hat Hitler in einem üblichen demokratischen Akt zum Reichskanzler ernannt, keinesfalls haben die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, wie Goebbels es formulierte. Dass Hitler die Spielräume der Verfassung ausnutzte, eine Diktatur zu errichten, ist nicht nur Hindenburg anzukreiden. Dem Ermächtigungsgesetz, also der faktischen Entmachtung der Legislative, stimmten mit Ausnahme der SPD alle übrigen anwesenden Parteien zu. Die Kommunisten waren damals bereits verboten und aus dem Reichstag ausgeschlossen. Unter den Zustimmern befanden sich auch prominente Persönlichkeiten der Nachkriegszeit wie der spätere Bundespräsident Theodor Heuss oder der erste Ministerpräsident Baden-Württembergs, Reinhold Maier. Wenn wir nun über die Umbenennung der Hindenburgstraße diskutieren, müssen wir uns dann auch über die Namensgeber Heuss und Maier Gedanken machen? Was machen wir mit einer Stauffenbergstraße? Stauffenberg war lange Zeit ein Sympathisant des Nationalsozialismus, der Krieg für ihn als Militär eine glückliche Fügung. Das Attentat an Hitler erfolgte nicht aus Überzeugung an der demokratischen Sache, sondern um Deutschlands Ansehen in der Welt zu retten und vielleicht auch noch den Krieg. Was ist mit Martin Niemöller, der im Ersten Weltkrieg erfolgreicher U-Boot-Kapitän und 1933 zunächst bekennender Anhänger Adolf Hitlers war?

Wir diskutieren heute über Sinn und Zweck einer Straßenumbenennung, während sich in Deutschland bereits wieder antidemokratische Tendenzen bemerkbar machen. In Thüringen hat ein bekennender Rechtsaußen mit den Mitteln der Demokratie die etablierten Parteien der Lächerlichkeit preisgegeben – Parallelen zu 1933 kommen einem in den Sinn. Sicherlich sollte uns dies Anspron sein, die wieder stärker gefährdete Demokratie zu schützen und zu erhalten. Doch ist dafür die Umbenennung einer Straße der richtige Weg?

In der Öffentlichkeit trägt die Umbenennung der Hindenburgstraße, die seit 90 Jahren diesen Namen trägt und bei vielen Einwohnern andere Assoziationen birgt als den ehemaligen Reichspräsidenten, sicherlich nicht dazu bei, das Vertrauen in die Politik zu stärken, während zeitgleich eine Vielzahl an tiefgreifenden Problemen auftreten. Wir würden mit einer Umbenennung der Hindenburgstraße zudem dafür sorgen, dass Bewohner und Geschäftsleute ihre Adressen ändern müssten und damit während der wirtschaftlich schwierigen Zeiten durch Baustelle und Coronakrise den Geschäftsleuten weitere Schwierigkeiten aufbürden. Nehmen wir Hindenburg als warnendes Beispiel dafür, dass mit antidemokratischen Kräften nicht gespielt werden darf. Sie müssen als ernste Gefahr begriffen werden, denen politische Taten entgegenzusetzen sind. Machen wir uns bewusst, dass wir alle genauso fehlbar wie Hindenburg in unseren Entscheidungen sein können und lernen wir daraus. Oder wie Goethe es in seinem Faust so treffend geschrieben hat: „Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, ist sich des rechten Weges wohl bewusst.“

Die Vorlage der Verwaltung nehmen wir gerne zur Kenntnis.

Für die Fraktion
Steffen Kaiser

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