Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für einen Leitfaden geschlechtergerechte Sprache

Steffen Kaiser – GR-Sitzung 23.06.2021, Stellungnahme zur Vorlage 070/2021

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Bolay,
sehr geehrte Damen und Herren,

Sprache ist ein Ausdruck von Gesellschaft und ihren Moralvorstellungen. Ändern sich die Werte, passt sich auch die Sprache an. Der gestellte Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zum Ziel, den veränderten Werten bei den Geschlechterrollen sprachlich gerecht zu werden, indem ein Leitfaden erstellt werden soll. Vollkommen richtig ist, dass öffentliche Personen und Institutionen Träger gesellschaftlicher Wandlungsprozesse sein sollten. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss lässt sich hier beispielhaft anführen, der in der überwiegend dem traditionellen Rollenbild der Familie verschriebenen deutschen Gesellschaft der 50er Jahre gesagt hat:

„Eigentlich müßte man anregen, daß alle unverheirateten Männer fortgeschrittenen Alters mit ‚Herrlein‘ angeredet werden. Da wären dann die unverheirateten Frauen, die aus sich und ihrem Leben etwas gemacht haben, bald die Anrede ‚Fräulein‘ los!“

Heute ist das Fräulein auch ohne die Einführung des Herrleins weitestgehend aus unserem Sprachgebrauch verschwunden und trägt der veränderten gesellschaftlichen Rolle unverheirateter Frauen Rechnung. Wir sehen daran, dass Sprache sich wandelt. Gendersensible Sprache lässt sich allerdings nicht erzwingen. Sie lässt sich aber auch nicht verbieten. Es setzt sich durch, was viele Menschen als angemessen und praktikabel erachten.

Ein öffentliches Gemeinwesen wie die Stadt Ostfildern muss hier mit gutem Beispiel vorangehen. Dies geschieht bereits, indem Stellenausschreibungen geschlechterneutral formuliert und Männer und Frauen für gleiche Tätigkeiten auch gleich entlohnt werden. Der Erfolg spiegelt sich im wachsenden Anteil von Frauen in Leitungspositionen wider. Natürlich sind Verbesserungen noch notwendig, doch gelingt dies nur, wenn die Problematik im Bewusstsein der Mitarbeitenden verankert ist. Vielleicht kann ein Leitfaden hier helfen. Allerdings muss das Rad dazu nicht immer neu erfunden werden. Es gibt im Umkreis genügend Leitfäden, die als positive Beispiele einfach übernommen werden können.

Die deutsche Sprache ist sehr komplex. Positiv ausgedrückt, kann mit ihr sehr kreativ gearbeitet werden. Voraussetzung dafür ist ein gutes Sprachgefühl, kein Leitfaden. Geschlechtergerechte Sprache muss nicht zwingend ein Sternchen sein, es gibt genügend grammatikalisch korrekte Lösungen –auch neben dem generischen Maskulinum. Dazu braucht es der Problematik bewusste Personen sowie Mut und Können zum grammatisch korrekten Spiel mit unserer Sprache. Dabei gilt jedoch, dass der Weg das Ziel ist und nicht eine vorgefertigte Meinung – egal von welcher Anschauung sie herrührt. Sprachlich versierte Mitarbeitende können auch dazu beitragen, Verwaltung verständlicher kommunizieren zu lassen. Es gibt genügend Beispiel, in denen das Gendersternchen verständlicher ist als der übrige Text.

Der Deutschen liebstes Kind was die Sprache angeht, ist sicherlich Johann Wolfgang von Goethe. Sehr treffend formulierte er:

„Der Sprache liegt zwar die Verstandes- und Vernunftsfähigkeit des Menschen zum Grunde, aber sie setzt bei dem, der sich ihrer bedient, nicht eben reinen Verstand, ausgebildete Vernunft, redlichen Willen voraus. Sie ist ein Werkzeug, zweckmäßig und willkürlich zu gebrauchen; man kann sie ebensogut zu einer spitzfindig-verwirrenden Dialektik wie zu einer verworren-verdüsternden Mystik verwenden.“

Kurzum, der Antrag der Grünen verweist auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse und daraus resultierenden Veränderungen in der Sprache, die Berücksichtigt werden müssen. Die Antwort der Verwaltung zeigt unserer Meinung nach einen gangbaren und praktikablen Weg, wie diesem gesellschaftlichen Wandel Rechnung getragen werden kann. Wir nehmen die Antwort daher wohlwollend zur Kenntnis.

Für die Fraktion
Steffen Kaiser

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